Langsam fahren Schulen und Kindergärten wieder hoch; im Regelfall weiterhin mit Einschränkungen ggü. der Vorcoronazeit. Die Frage, die wir uns nun stellen ist, ob es mess- und bezifferbare individuelle wie volkswirtschaftliche Kompetenz-, Einkommens- und Wohlstandseffekte wegen der Schulschließungen – nur teilweise kompensiert durch Homeschooling – gibt und wie hoch diese sind. Wir haben hierzu Prof. Dr. Wößmann (Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik) folgendes gefragt:

Wenn ab März 2020 das gesamte Schuljahr, weder als adäquater Präsenzunterricht noch als adäquates digitales Homeschooling durchgeführt werden kann bzw wird, wie hoch wären die individuellen Einkommensverluste bzw. wie stark wäre der Rückgang des BIP in Prozent in 2020?

Prof. Dr. Wößmann:

„Konkret ist wenig darüber bekannt, welches Ausmaß der Lernausfall aufgrund der Corona-bedingten Schulschließungen insgesamt haben wird, zumal über die Effektivität des Distanzlernens zuhause und des Lernens im Wechsel zwischen Präsenz und zuhause wenig bekannt ist. Aber es gibt Hinweise, dass bei vielen Kindern und Jugendlichen in den letzten Monaten wenig gezieltes Lernen stattgefunden hat und dass der Lernausfall unter den SchülerInnen stark variieren dürfte. Bis zu den Sommerferien werden bei vielen SchülerInnen im Präsenzunterricht rund ein Drittel der Schulwochen eines Schuljahres ausgefallen sein, und aus der Forschung wissen wir, dass bei ausbleibendem Unterricht sogar Rückschritte im Kompetenzstand zu erwarten sind.

Darum betrachte ich bei den folgenden Berechnungen beispielhaft die Folgen für Kinder und Jugendliche, bei denen Lernen im Umfang von einem Drittel Schuljahr entfällt. Bei SchülerInnen, die während der Schulschließungen im Selbst- oder Digitalunterricht effektiv gelernt haben, wird das Defizit geringer ausfallen; bei SchülerInnen, bei denen es zu Rückschritten gekommen ist, kann der Lernausfall durchaus größer sein.

Die Forschung über die Auswirkungen von Kompetenzen und Schuljahren auf dem Arbeitsmarkt zeigt, dass jedes Schuljahr im Durchschnitt mit einem um rund 10 Prozent höheren Erwerbseinkommen einhergeht. Geht also ein Drittel des Lernens eines Schuljahres verloren, so geht dies über das gesamte Berufsleben gerechnet im Durchschnitt mit rund 3-4 Prozent geringerem Erwerbseinkommen einher. Würde im Verlauf des nächsten Schuljahres ein weiteres Drittel Schuljahr an Lernen verlorengehen, so würden sich diese Einkommensverluste auf rund 6-7 Prozent erhöhen.

Die ausbleibende Kompetenzentwicklung wirkt sich auch gesamtwirtschaftlich aus. Die kognitiven Basiskompetenzen, wie sie etwa in internationalen Schülervergleichstests in Mathematik und Naturwissenschaften gemessen werden, sind der wohl bedeutendste langfristige Bestimmungsfaktor des volkswirtschaftlichen Wachstums und damit des langfristigen Wohlstands einer Gesellschaft. In Wachstumsprojektionen lässt sich ein Szenario modellieren, in dem die rund zwölf derzeitigen Schuljahrgänge aufgrund der Corona-bedingten Schulschließungen die Kompetenzen eines Drittel Schuljahres verlieren und alle weiteren Jahrgänge danach wieder zum vorherigen Niveau zurückkehren. In einem solchen Szenario ergibt sich für Deutschland über den Lebenshorizont eines heute geborenen Kindes gerechnet insgesamt ein gesamtwirtschaftlicher Verlust von 2,56 Billionen Euro oder 1,3% des zukünftigen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Bei einer Verdoppelung des Lerndefizits auf insgesamt zwei Drittel eines Schuljahres würden sich die gesamtwirtschaftlichen Verluste ebenfalls auf rund 5 Billionen Euro oder 2,6% des zukünftigen BIP verdoppeln.“

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